„Ziel ist es, den Frauen ein Stück Würde zurückzugeben“

 

In der Westendstraße eröffnet der SkF demnächst die Lebensplätze für wohnungslose Frauen über 50. Das Besondere an dem Projekt ist der Housing-First-Ansatz: Wohnen ist hier nicht an Bedingungen geknüpft. Wie das funktioniert, erklärt Leiterin Carmen Schwend.

 

Vor allem ältere Frauen, die von einem jahrelangen Leben ohne Zuhause gezeichnet sind, tun sich oft schwer, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Was ist das Besondere an den Lebensplätzen, Frau Schwend?

 

Carmen Schwend: Der Housing First-Ansatz. Die Bewohnerinnen bekommen einen regulären Mietvertrag – unabhängig davon, ob sie pädagogische, medizinische oder hauswirtschaftliche Hilfe in Anspruch nehmen. Es gibt niedrigschwellige Hilfsangebote vor Ort, aber die sind freiwillig. Wir glauben: Ein Zuhause ist grundlegend - erst wenn ich eine Wohnung habe, dann habe ich Sicherheit, dann kann ich auch andere Themen angehen.

 

Ist das der Unterschied zu anderen Wohnungsloseneinrichtungen?

Genau. In vielen Notunterkünften müssen Menschen erst bestimmte Voraussetzungen erfüllen, damit sich ihre Wohnsituation verbessert. Aber manche Frauen wollen erst einmal gar nichts mit den Sozialpädagog*innen zu tun haben, vielleicht haben sie schlechte Erfahrungen gemacht. Wir wollen in ganz kleinen Schritten auf die Bewohnerinnen zugehen, immer wieder Kontakt suchen, etwas anbieten, aber sie eben zu nichts zwingen. In der Westendstraße gibt es deshalb einen großen Gemeinschaftsraum, in dem Feste stattfinden und Gruppenangebote. Die Hauswirtschafterin wird zum Beispiel ab und zu mit und für die Frauen kochen, und wer Lust hat, nimmt teil. Oder eben nicht. Die Gerontofachkraft wird immer wieder zu Arztbesuchen motivieren und diese organisieren. Aus ähnlichen Einrichtungen in München wissen wir, dass wir da sicher auch eine hohe Frustrationstoleranz brauchen.

 

Wie sehen die Wohnungen aus?

Wir haben zwei Häuser mit Platz für 32 Frauen. Die Appartements sind ganz unterschiedlich, sie sind zwischen 26 und 40 Quadratmeter groß, die meisten sind barrierefrei und haben einen Balkon. Das Wichtigste ist: Die Bewohnerinnen werden bei uns einen eigenen Raum haben, der ihnen Schutz bietet. Gemischte Unterkünfte sind für Frauen oft belastend, es gibt Gewalt, Diebstähle. Bei uns haben sie eine eigene Wohnung, die sie absperren können. Sie haben eine eigene Küche, ein eigenes Bad, echte Privatsphäre also. Das Ziel ist, dass sie dauerhaft bei uns bleiben können, wenn sie möchten, und falls gesundheitlich möglich sogar bis zu ihrem Lebensende.

 

Wer hat alles einen Schlüssel zu den Wohnungen?

Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Es gibt keine Wohnungszugangskontrolle wie in anderen Häusern und einen Zweitschlüssel bekommen wir Mitarbeiter*innen nur, wenn die Bewohnerin das auch will. Das kann natürlich im Umkehrschluss bedeuten, dass wir nicht sofort merken, wenn jemand in seiner Wohnung stirbt oder vielleicht gar nicht so oft da ist. Darüber haben wir viel diskutiert, aber wenn man den Housing-First-Ansatz ernst nimmt, funktioniert das nur so. Ziel ist es ja, den Frauen ein Stück Würde und Selbstbestimmtheit zurückzugeben.

 

Inzwischen sind alle 32 Plätze vergeben. Wer zieht ein?

Es war uns wichtig, dass das ein vielfältiges, buntes Haus wird. Die Kriterien waren: über 50, seit vielen Jahren wohnungslos und keine Selbst- oder Fremdgefährdung. Und die Bewohnerinnen sollten bei Einzug noch selbst den Haushalt führen können, nach ihren Standards natürlich. Die älteste Frau, die wir aufnehmen, ist 86. Sie schläft derzeit in wechselnden Notunterkünften. Die jüngste Bewohnerin wird knapp 50 sein. Es gibt Frauen mit Fluchtbiografie, Bewohnerinnen, die psychisch krank sind, Alkohol wird sicher ein Thema sein, und zwei Katzen wurden auch schon angemeldet. Viele Bewerberinnen haben sich aufgrund ihrer Biografie in der Vergangenheit schwergetan, eine Wohnung zu finden, viele sind gezeichnet durch ihr Leben, Vermieter haben da oft Vorbehalte. Eine Frau hat in ihrer Bewerbung beispielsweise geschrieben, sie werde aufgrund ihres „skurrilen Äußeren“ nie eine Sozialwohnung finden.

 

Müssen die Frauen auch Miete bezahlen?

Ja. Entweder sie arbeiten, beziehen Rente oder sie müssen sich beim Amt für Soziale Sicherung oder dem Jobcenter darum kümmern. Wir helfen natürlich, aber sie müssen auch etwas tun. Es gibt also nicht nur Rechte bei uns, sondern auch Pflichten. Für manche Frauen ist das ziemlich herausfordernd. Das Leben auf der Straße ist härter, aber eben auch freier. Wer nicht bezahlt, wird bei uns allerdings nicht gleich rausgeworfen, wir unterstützen da, sonst geht der Kreislauf der Wohnungslosigkeit ja gleich wieder los.

Das Angebot der Lebensplätze wird durch die Landeshauptstadt München / Sozialreferat gefördert.

 

Kontakt und Information:

Carmen Schwend
Fachdienstleitung Lebensplätze Westendstraße
Sozialdienst katholischer Frauen München e.V.
Tel.: 0160 5066961

Mail. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!